08.10.2025

25.000 Betroffene im Kreis: Reden hilft, Schweigen nicht

Depression ist kein Makel – Stormarn setzt starkes Zeichen. Seelische Gesundheit geht uns alle an: Lasst uns reden! Zusammen stark gegen Depression: Stormarns Angebote nutzen. Drei Institutionen, ein wichtiges Signal: Gemeinsam rufen der Kreis Stormarn, die Kroschke Kinderstiftung und die Bürger-Stiftung Stormarn zu mehr Akzeptanz von psychischen Erkrankungen auf. 

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TZ9 9234 Presse hfr mit Bildnachweis Timon Kronenberg

Mit der Woche der seelischen Gesundheit, die am 10. Oktober startet, wollen sie für das Thema sensibilisieren und Brücken zu kommunalen Beratungs- und Unterstützungsangeboten bauen. An mehreren Orten im Kreis gibt es Filmvorführungen, Lesungen, Vorträge, Diskussionen und eine Theateraufführung. Zudem öffnet die Tagesklinik in Ahrensburg ihre Tür für Interessierte, vor Ort sind auch Ärzte aus den anderen Stormarner Tageskliniken. „Das Bewusstsein für mentale Gesundheit muss steigen“, sagt Anja Wenk, Geschäftsführerin der Kroschke Kinderstiftung. „Deshalb sind wir froh über das starke Aktionsbündnis im Kreis Stormarn und über das Zeichen, das wir gemeinsam setzen.“

Laut jüngstem Gesundheitsbericht der Kreisverwaltung sind psychische Erkrankungen ein wachsendes Problem in Stormarn, mit Blick auf die Anzahl der Erkrankten und auf die Belastung für Gesundheitsversorgung und Arbeitsfähigkeit. Allein von einer Depression sind aktuell mehr als 25.000 Menschen im Kreisgebiet betroffen. „Psychische Erkrankungen nehmen bei Jung und Alt zu“, sagt Ralph Klingel-Domdey, Vorstandsmitglied der Bürger-Stiftung Stormarn. „Wir wollen Hemmschwellen im Umgang damit abbauen, präventiv aufklären und klar machen: Eine Depression oder Angststörung kann jeden ereilen. Dann kommt es auf schnelle und gute Hilfe an. Darüber müssen wir sprechen, nicht schweigen.“

Seien Sie in Stormarn dabei! Besuchen Sie die vielfältigen Veranstaltungen vor Ort.

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Einer, der darüber spricht und selbst erlebt hat, wie eine Depression das Leben verändert, ist Michael Fischer. Der pensionierte Polizeibeamte aus Ahrensburg ist 39 Jahre alt, als er während eines Einsatzes einen Nervenzusammenbruch erleidet. „Nichts ging mehr, ich habe einfach nur noch teilnahmslos vor mich hingestarrt“, erinnert sich der heute 62-Jährige. Ihm wird eine schwere Depression attestiert. Seit Monaten hatte sich Fischer in seiner Freizeit immer mehr zurückgezogen, verspürte große Traurigkeit, war seinen Mitmenschen gegenüber verschlossen. Sein Arbeitgeber reagiert fürsorglich, der sozialtherapeutische Dienst der Polizei kümmert sich um Therapiemaßnahmen. Es folgt ein achtwöchiger stationärer Klinikaufenthalt. „Ich wurde nicht gedrängt, wieder zu arbeiten, konnte meinen Wiedereinstieg langsam gestalten, doch ich wollte mich wieder voll in die Arbeit stürzen. Ich hatte immer Spaß daran“, sagt Fischer. Das geht nicht lange gut. 2008 folgt der nächste Klinikaufenthalt, die Depression ist zum ständigen Begleiter geworden. Eigentlich sei er schon als Jugendlicher viel allein gewesen und habe sich mental zurückgezogen, so Fischer.

Die Klinikaufenthalte entlasten ihn: „Sie haben meine Sicht auf die Dinge verändert.“ In besonders schweren Phasen hilft ihm nur ein stationärer Aufenthalt. Auch die Tagesklinik Ahrensburg wird für ihn zur wichtigen Anlaufstelle. „Depressiv zu sein, ist kein Makel“, sagt er mit fester Stimme. „Es ist eine schwere Krankheit, aber sie ist steuerbar, wenn auch nicht heilbar bei mir.“ Er stehe zu seiner Depression und möchte andere Betroffene dazu ermutigen, sich nicht zurückzuziehen.

KIBIS Stormarn bietet mit einer App einen guten Überblick über vorhandene Selbsthilfegruppen im Kreisgebiet.

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Dem Rückzug und der Isolation will auch die Eheleute Schmöger-Stiftung unter dem Dach der Bürger-Stiftung Stormarn entgegenwirken. Sie fördert Selbsthilfegruppen, macht mit öffentlichen Veranstaltungen auf das Thema Depression aufmerksam, informiert mit Expertinnen und Experten über die vielfältigen Ursachen, Erscheinungsformen und Behandlungsmöglichkeiten. „Wir wollen die Krankheit vor allem entstigmatisieren“, sagt Projektverantwortliche Ursula Pepper. „Ich höre oft nach einer unserer Infoveranstaltungen von Besuchenden: „Ich bin auch depressiv und sage dies heute zum ersten Mal laut.“ Ein solches Bekenntnis kostet viel Überwindung, ermutigt zugleich andere, die spüren: Ich bin nicht allein. Uns liegt daran, den Austausch zu ermöglichen.“

Am meisten habe es ihm geholfen, als er mit jemandem gesprochen habe, der wisse, wie es sei, depressiv zu sein, sagt Michael Fischer. Deshalb besucht er jeden zweiten Dienstag eine Selbsthilfegruppe in Trittau, die er 2019 mit mehreren Patienten aus der Tagesklinik gründet. „Die aktuell zwölf Mitglieder zwischen 40 und 70 Jahren kommen aus verschiedenen Teilen Stormarns“, so Fischer. „Gemeinsam bekommen wir vieles wieder hin“, sei die Devise. Die Gruppe habe ihm geholfen, nicht weiter abzurutschen. Eine Depression könne Betroffene zeitweise stark einschränken, weiß Ursula Pepper. Wichtig sei, sich und dem Umfeld bewusst zu machen: „Ich bin mehr als meine Krankheit!“

Bürger-Stiftung Stormarn weitet Schulangebot aus

Die Wege von Fischer und Pepper kreuzen sich im Dezember 2018, bei einer moderierten Gesprächsrunde zum Thema „Depression und Arbeit…wie geht das?“ im Ahrensburger Kulturzentrum Marstall. Fischer sitzt als Betroffener auf dem Podium, sein erster öffentlicher Auftritt zum Thema Depression. „Danach kam eine Kollegin, die im Publikum gesessen hatte, zu mir und öffnete sich mir gegenüber als Betroffene“, erinnert er sich. Seitdem hat er die sogenannten Trialoge schon oft unterstützt. Negative Erfahrungen durch das Bekanntmachen seiner Erkrankung habe er nicht gemacht, so Fischer. „Nicht offen damit umzugehen, bedeutet, Entscheidendes für sich zu behalten. Daran kann man verzweifeln.“

Neben Veranstaltungen fördert die Eheleute Schmöger-Stiftung thematische Lesereisen für Dritt- und Viertklässler in Stormarn. Die Stiftung stellt dafür Schulbegleitmaterial wie das Buch „Papas Seele hat Schnupfen“ von Claudia Gliemann und Nadia Faichney zur Verfügung. Für ältere Schüler ab Klasse 9 unterstützt sie seit vielen Jahren das Projekt „Verrückt! Na und?“ von der Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit (SVS). Einen Schultag lang sprechen Sozialpädagogen und Betroffene mit einer Klasse über das Thema Depression, tauschen sich offen aus, geben Tipps für den Umgang mit Betroffenen und einen Überblick zu Hilfsangeboten. Die persönlichen Erfahrungsberichte von Betroffenen bauen auch hier bei den Jugendlichen Berührungsängste ab. „Die Nachfrage nach dem Programm ist groß“, sagt Ursula Pepper. „Wir haben inzwischen weit über 1.000 Schülerinnen und Schüler erreicht. Nun wollen wir das Angebot ausweiten und auch Schulen in Nord-Stormarn den Zugang ermöglichen.“

KIBIS Stormarn in Ahrensburg bietet mit einer App einen guten Überblick über vorhandene Selbsthilfegruppen im Kreisgebiet. Mehr Infos und den Download unter www.kibis-stormarn.de