05.03.2023

Kinder aus der Ukraine lernen von Lesepaten

Ehrenamtliche Vorleser sind unter dem Dach der Bürger-Stiftung Stormarn organisiert. Sie unterstützen Lehrer und Erzieher bei der Integration von Geflüchteten.

1 DaZKlasse
5 Lehrerin Mareike Gosch QUER

VERENA KÜNSTNER

Bargteheide „Wer will heute zu Frau Jenkel?“ 16 kleine Zeigefinger strecken sich in die Höhe, sofort nachdem Grundschullehrerin Mareike Gosch die Frage stellt. Sie unterrichtet an der Johannes-Gutenberg-Schule (JGS) in Bargteheide in einer der DaZ-Klassen. DaZ steht für „Deutsch als Zweitsprache“. Die Schülerinnen und Schüler haben keine oder geringe Deutschkenntnisse, besuchen deshalb die Intensivklasse, die sie auf eine Teilnahme am Regelunterricht vorbereiten soll.

Das Ziel im DaZ-Unterricht: Die Kinder sollen ihre Bedürfnisse äußern können sich dadurch in Schule und Alltag besser zurechtfinden. „Viele Kinder müssen sich nicht nur mit einer fremden Sprache und einer anderen Kultur, sondern mit dem Verlust von Heimat, Familie und Freunden auseinandersetzen“, sagt Lehrerin Mareike Gosch. Derzeit besuchen neben Kindern aus Afghanistan, Eritrea und dem Iran auch neun Mädchen und Jungen aus der Ukraine die DaZ-Klassen der Bargteheider Grundschule. Sie kämpfen mit Kriegs- und Fluchttraumata, müssen sich gleichzeitig in einer neuen Umgebung zurechtfinden. Gosch: „Das macht sich unterschiedlich bemerkbar. Die einen werden laut, andere ganz leise.“

3 Birgit Jenkel Lesepatin QUER

Die Struktur einer DaZ-Klasse ermöglicht zwar eine individuellere Betreuung der Kinder als im Regelunterricht. Trotzdem können die Lehrkräfte nicht jedem einzelnen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Hier kommt Birgit Jenkel ins Spiel. Sie war selbst Grundschullehrerin. Heute ist sie ehrenamtliche Lesepatin und kommt drei Mal in der Woche in die Johannes-Gutenberg-Schule. Die Bargteheiderin widmet sich für je eine Schulstunde einem bis zwei Kindern, mit denen sie Wortschatzübungen macht. „Ich war gern Lehrerin“, sagt Birgit Jenkel. „Jungen Menschen etwas zu vermitteln und zu beobachten, wie sie Fortschritte machen, ist etwas Wunderbares.“

An ihren Enkeltöchtern tobe sie sich regelmäßig aus, fügt sie mit einem Lachen hinzu. Warum also nicht auch anderen Kindern helfen. „Manchmal können sie ein bisschen englisch“, sagt die Lesepatin. „Das erleichtert das Üben. Doch in den meisten Fällen beherrschen sie nur ihre Muttersprache.“ Birgit Jenkel arbeitet viel mit Bildern, lässt die Kinder Worte nachsprechen, gibt ihnen spielerische Anreize zum Schreiben. Am Ende der Stunde steht immer eine Entspannungsübung. Die genießen vor allem neue Schülerinnen und Schüler sehr. „Es ist anstrengend, jeden Tag unter Fremden zu sein, deren Sprache man nicht versteht“, sagt Jenkel. Bei Kindern aus Kriegsgebieten sei die Anspannung um ein Vielfaches höher. Nach der Schulstunde tauschen sich Lehrkraft und Ehrenamtler aus. „Für uns ist das Projekt eine positive Ergänzung“, sagt Lehrerin Mareike Gosch, die die Unterstützung von Birgit Jenkel nicht mehr missen will.

Die war Anfang 2022 durch einen Zeitungsartikel auf die Arbeit der ehrenamtlichen Vorleser aufmerksam geworden. Die Lesepaten sind seit 2018 Teil der Bürger-Stiftung Stormarn, die mit einem Stiftungskapital von rund sieben Millionen Euro die kapitalstärkste Bürgerstiftung des Bundeslandes ist. Unter deren Dach engagieren sich Hunderte Stormarnerinnen und Stormarner in ihrer Freizeit. Und das in vielfältiger Art und Weise. Sechs regionale Bürgerstiftungen sowie 34 Stiftungsfonds mit den unterschiedlichsten Stiftungszwecken bereichern durch wertvolle Aktionen und Hilfsangebote das Miteinander. Die Inhalte reichen von niederschwelliger Beratung und Aufklärung bei Depressionen (Eheleute Schmöger-Stiftung) über Förderungen für Sport und Kultur (z.B. Handballstiftung Bargteheide, Heik-Stiftung, Marianne Dräger Stiftung) bis hin zur Unterstützung für Geflüchtete und Bedürftige (Café International der Trittauer Bürgerstiftung, Integrationspaten, Stiftung Tafelarbeit). „Der Einsatz unserer Mitstreiter für andere Menschen ist mit Geld nicht aufzuwiegen.“ Mit diesen Worten würdigt Ralph Klingel-Domdey vom Stiftungsvorstand das Engagement der mehr als 300 Ehrenamtlichen innerhalb der Bürger-Stiftung Stormarn.

 

7 Annelore Penno HOCH

Um weiter kontinuierlich Gutes tun zu können, brauchen die Stiftungen finanzielle Unterstützung. Doch nicht ausschließlich Geldspenden und Zustiftungen halten die Projekte am Leben. „Wir könnten unsere guten Ideen gar nicht umsetzen, wenn wir nicht Menschen wie Frau Jenkel hätten, die uns ihre Zeit schenken“, sagt Annelore Penno, Bereichsleiterin der Lesepaten in Bargteheide und selbst leidenschaftliche Vorleserin.

Inzwischen besuchen über 80 Männer und Frauen regelmäßig mehrmals die Woche Kitas und Grundschulen, um bei den Kindern auf spielerische Art die Liebe zum Lesen und zu Büchern zu wecken. Dafür brauche man keinen pädagogischen Hintergrund, so Penno. Im Januar absolvierten 13 neue Lesepaten das Einsteigerseminar, das auch Quereinsteigern Methoden vermittelt.

„Seit Corona sind vor allem an Grundschulen mehr Lesepaten unterwegs. Sie helfen, pandemiebedingte Lerndefizite abzufedern“, sagt Annelore Penno. An eine Bad Oldesloer Grundschule hat sie gerade eine Lesepatin vermittelt, die ukrainisch kann. Penno: „Je mehr Menschen mit verschiedenartigen Kenntnissen bei uns mitmachen, desto besser können wir auf unterschiedliche Anforderungen reagieren und noch effektiver helfen.“

Ihr Weg zum Ehrenamt

Wer die Lesepaten mit eigenem Engagement bereichern will, erreicht sie per E-Mail unter lesepaten@buerger-stiftung-stormarn.de.